Kurz und Zügig
In diesem Artikel erzähle ich von…
- Meinen Erfahrungen im Schlafwagen der Transsibirischen Eisenbahn
- Den Landschaften auf der Strecke von Moskau bis zum Baikalsee
- Interessanten Begegnungen mit Menschen im Abteil und Speisewagen
- Der Monotonie und Dynamik auf der Reise durch Sibirien
👉 Die Reise ging weiter auf der ➟Transmongolischen Route.
Ein besonderer Streckenabschnitt, dem ich einen eigenen Beitrag widme.
👉 Die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn ist Teil eines größeren Reiseprojekts, das ich in einem großen Artikel zusammenfasse.
Die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn ist ein großer Traum vieler Menschen – und dies aus teilweise ganz unterschiedlichen Gründen.
Die einen möchten den rustikalen Luxus des Zarengolds genießen, die anderen sind auf der Suche nach dem ultimativen Abenteuer oder nach der meditativen Zeitlosigkeit einer solchen langen Reise auf Schienen.
Und doch eint alle die Sehnsucht nach den unendlichen Landschaften Sibiriens, und der Reiz, auf besondere und authentische Weise Russische Lebenswelten, Sibirische Kulturen und Burjatische Traditionen zu erleben.
Ich bin mir gar nicht so sicher, was mich an einer solchen Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn am meisten beeindruckt. Sicher ist aber, dass meine erste Zugfahrt durch Sibirien eine der spannendsten (Reise-)Erlebnisse in meinem Leben war.
Ein Augenöffner und zugleich ein Türöffner – eine Erfahrung, an der ich gewachsen bin.
Ich hoffe zwar, dass diese Reise nicht meine letzte auf der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn bleiben wird.
Angesichts der aktuell anhaltenden Situation in der Ukraine bin ich derzeit – Stand September 2024 – allerdings nicht besonders optimistisch, dass eine Reise mit dem Zug durch Russland zeitnah wieder opportun sein wird.
Meine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn
Endlich ist es so weit. Die abenteuerliche Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn geht los und der Rucksack ist schon wieder gepackt.
Nach einem Vorgeschmack im ➟Nachtzug von Berlin nach Moskau und einigen erlebnisreichen Tagen in den russischen Vorzeige-Metropolen ➟ Moskau und ➟St. Petersburg startet am 22. April 2016 meine Zugreise von Moskau durch die Weiten Russlands.
Transsibirien – Eisenbahn – Reisefieber!
Ein Leben zwischen Zugabteil und Hostelzimmer.
Zwischen unentdeckten Großstädten und sibirischen Sonnenuntergängen. Zwischen Moskau und Baikalsee.
Auf Schienen Richtung Fernost.
Strecke der Transsibirischen Eisenbahn | Karte
1. Moskau ‒ Nischni Nowgorod
1.1 Mit dem Expresszug ‚728ГА Moskau ‒ Nischni‘
Bei der Buchung meiner Transsib-Tickets habe ich für die erste Etappe von Moskau nach ➟Nischni Nowgorod einen kleinen Fehler begangen.
Denn die klassische Route der Transsibirischen Eisenbahn startet am Jaroslawer Bahnhof, einem jener Bahnhöfe am Komsomolskaja-Platz.
Ich habe unwissend jedoch einen schnelleren Zug (728ГА) vom Typ „Lastochka“ gebucht.
Diese modernen Nahverkehrszüge, die vom etwas funktionaler gestalteten Kursker Bahnhof bzw. seit 2021 auch vom neuen Ostbahnhof im Osten der Stadt abfährt.
Früh am Morgen um 8:00 Uhr lasse ich mich also von einem Taxi zum Kursker Bahnhof bringen, bevor ich mich dem üblichen Prozedere an russischen Bahnhöfen hingebe.
Nach der Sicherheitskontrolle, die mehr oder weniger halbherzig vollzogen wird, bewege ich mich zu Gleis 1.
Dort gibt es dann eine rein-russische Ansage, woraufhin mich ein netter Mann übersetzend darüber aufklärt, dass der Zug heute von Gleis 11 fahre.
Er hat recht, allerdings befindet sich das Gleis eh an derselben Plattform.
Das Interieur des Lastochka-Zuges erinnert mehr an deutsche Regional-Bahnen, als an Transsibirische Eisenbahn-Romantik.
Die Fahrt dauert auch nur gute 4 Stunden und wird mich zumindest unaufgeregt und sicher ans Ziel bringen.
1.2 Reise durch Moskaus Vororte
Ich ärgere mich zunächst ein wenig, bin mir zugleich aber auch sicher, dass die restlichen gebuchten Züge schließlich das authentische Transsib-Erlebnis vermitteln werden, nach dem ich suche.
Es dauert bestimmt eine Stunde, bis der Zug den urbanen Großraum in und um Moskau verlässt.
Eine scheinbar unendliche wie beeindruckende Sequenz an Exponaten moderner Plattenbaukunst bestimmen die Aussicht. Viele Baustellen. Es wird bezahlbarer Wohnraum geschaffen, am Rande der edlen Metropole.
Moskau zählt zu den teuersten Städten Europas und führt die Liste der einwohnerreichsten Metropolen Europas an.
Während das Bild für sich also schlicht den State of the Art suburbaner Bauprojekte präsentiert, ist besonders dessen Ausdehnung beeindruckend. Von Vorstadt zu Vorstadt. Vom Gleisbett zur Skyline.
Und auch ansonsten ist die Landschaft zwischen den Orten erstmal wenig aufregend. Wenige Akzente – ein nüchterner, jedoch keineswegs ernüchternder Auftakt der Zugreise.
Die Highlights würden mich ohnehin im Fernen Osten der Route erwarten.
Soweit erblicke ich einige hübsche Dörfer mit bunt-bedachten Häusern und Abstellgleise für Waggons der Russischen Eisenbahnen.
Eine kurze Fahrt zur Akklimatisierung auf den Schienen Russlands. Ich bin – auf der russischen Skala – schnell am Ziel, in Nischni Nowgorod, und bin gespannt auf die Geschichten, die hier auf mich warten.
Mein Fazit | Etappe 1
Die falsche Zugwahl war etwas unglücklich, und beim nächsten Mal weiß ich dann Bescheid, dass die unterschiedlichen Züge von unterschiedlichen Bahnhöfen abfahren.
Der traditionelle Start vom Jaroslawer Bahnhof in Moskau dürfte noch mehr Eisenbahnromantik mit sich bringen. Die Fahrt im Expresszug nach Nischni Nowgorod fühlt sich schon etwas zu funktional und steril an. Jedenfalls für diesen Zweck.
Nun ist die Strecke aber ohnehin nicht ganz so groß und spektakulär – und die Fahrt dauert auch im klassischen Zug nur 6-8 Stunden. Daher habe ich auch nicht viel verpasst.
Mit dem 8-Stunden-Zug (Nr. 036Щ) ließe sich aber prinzipiell eine erste echte Nachtfahrt auf der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn nach Nischni realisieren. Der Nachtzug verlässt den Jaroslawer Bahnhof abends um 23:10 Uhr und erreicht Nischni Nowgorod am nächsten Morgen um 7:10 Uhr.
2. Nischni Nowgorod – Jekaterinburg | Birken & Bettwäsche
2.1 Mit dem Nachtzug ‚002Э Moskau–Wladiwostok'“‚
Vor der Abfahrt nach Jekaterinburg bin ich am Bahnhof zunächst etwas verloren, da ich keine angezeigte Auskunft über das Abfahrtsgleis finde, und es auch halbwegs anspruchsvoll ist, sich ohne signifikante Russisch-Kenntnisse durchzufragen.
Am Ende bekomme ich jedoch von einer Mitarbeiterin der russischen Bahn die glaubwürdige Information, dass mein Zug „002MA Moskau-Wladiwostok“ um 20:17 h von Gleis 6 abfährt.
2.2 Zustieg nur mit gültigem Reisepass
Die Fahrt soll also meine erste „echte“ Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn werden: über Nacht in einem Zug des Typs „Россия“ (Rossija = Russland).
Beim Einsteigen werde ich von der Zugbegleiterin (проводни́ца, Provodnitsa) des Waggons freundlich auf Deutsch begrüßt.
Das liegt nicht daran, dass ich ihr ungefragt von meiner Herkunft erzählte, sondern an dem geordneten Prozedere.
Bevor man den Zug der transsibirischen Eisenbahn betritt, wird sowohl das Zugticket als auch der verräterischen Reisepass vorgezeigt.
Der Grund dafür ist die Bindung des Tickets und der (obligatorischen) Reservierung an die Passnummer. Was für die meisten Europäer etwas ungewöhnlich ist, ist auch in anderen asiatischen ➟ Ländern wie China ein ganz normaler Vorgang.
Wer in Russland und vor allem China unterwegs ist, wird schnell feststellen, dass Zugreisen dort in mancherlei Hinsicht eher an Flugreisen erinnern.
Das beginnt bei den großen Wartehallen in den Bahnhöfen, über mehr (China) oder weniger (Russland) strenge Sicherheitskontrollen mit mehr (China) oder weniger (Russland) funktionsfähigen Metalldetektoren, und endet mit dem Boarding.
Man betritt also nicht frei beweglich das Bahnsteig und wartet auf den Zug, sondern wartet in der Halle, bis der Zugang zu den Gleisen freigegeben wird.
Erst infolge der Platz- oder Bettzuweisung durch den:die Prodovnik:Prodovnitsa im Zug gleicht das Reisegefühl dem Zugreisen daheim. Naja, eigentlich nicht ganz…
2.3 Komfort im Kupe des Zugs ‚“Rossija“
Schlafabteil der 2. Klasse
Ich habe für die gesamte Reise Tickets für die 2. Klasse gebucht.
Dabei handelt es sich um die Schlafabteil-Klasse, auf Russisch Kupe (купе), bestehend aus Vierbett-Abteilen, die ich mir mit anderen Reisenden teile.
Die WC- und Waschräume befinden sich am Ende des Ganges.
In einem Kupe ist man natürlich etwas „privater“ unterwegs als in der preisgünstigeren 3. Klasse: in den Platzkartny–Wagen bekommt man lediglich eine Liege in einem offenen Großraum–Liegewagen.
Hier basiert die eigene Sicherheit in großen Stücken auf Vertrauen.
Und ich habe direkt noch von keinen Diebstählen oder Übergriffen von internationalen Platzkartny–Reisenden in der Transsibirien-Eisenbahn gehört.
Auf der anderen Seite bietet das Kupe mehr Kontaktpotenzial als eine Kabine in der 1. Klasse (Spalny Vagon, спальный вагон).
Dabei handelt es sich um private Schlafabteile für 2 Personen – meist jedoch ohne eigenes WC und Dusche.
Auf der Reise im Russischen Nachtzug gibt es übrigens immer heißes Wasser – for Free!
Gleich am Anfang jedes Waggons steht für die Reisenden ein Samowar zur Selbstbedienung bereits.
Der Samowar ist ein klassischer russischer Teekessel – also ein Wasserkocher, der aussieht wie ein Schnellkochtopf mit Zapfhahn.
☝Sei vorsichtig mit dem Samowar❗
Das Äußere des Gefäßes ist nicht thermisch isoliert und kann ziemlich heiß werden!
📌 Kleine Goodies im Schlafwagen
Wenn du einen Schlafplatz im Kupe gebucht hast, wirst du auch mit einem traditionellen Teeglas versorgt, damit du deinen mitgebrachten Instant-Tee oder -Kaffee kulturbewusst genießen kannst.
Die Zugbegleiter:innen verkaufen in ihrem Abteil aber auch Teebeutel und Kaffee-Pulver, falls du nix dabei hast.
Und zumindest für die Zahnpflege bekommt man zudem ein kleines Hygiene-Päckchen zur Verfügung gestellt… So wird deine Zugreise nicht nur bequem und authentisch, sondern auch kariesfrei!
2.4 Reden und Schlafen im Kupe
Mein Abteil teile ich mir also mit 3 russischen Mitreisenden: zwei Frauen, vermutlich Mutter und Tochter, sowie einem älteren Mann, der angibt, in New York bei einer Radiostation der Columbia University zu arbeiten und dementsprechend fließendes Englisch spricht.
Dies ist eine dieser Unterhaltungen, welche nicht nur einen der großen Reize des Reisens ausmachen, sondern auch zeigen, wie klein die Welt heutzutage doch ist.
Er erzählt mir von seinem Sohn, der in Berlin als Filmemacher seinen Lebensunterhalt bestreite, und auch bereits in Düsseldorf gedreht habe.
Ich bin erstaunt, wie die einfache Auskunft über das eigene Heimatland oder des genauen Wohnortes immer wieder zu interessanten Unterhaltungen führen, und Menschen dazu motiviert, über ihre eigene Biografie zu referieren.
Eine 21-stündige Zugfahrt bietet auch viel Gelegenheit für ausgiebige Gespräche.
2.5 Russische Gastfreundschaft
Eine besondere Erfahrung russischer Gastfreundschaft darf ich zu Beginn dieser Fahrt machen, als die jüngere der beiden Frauen zur Kenntnis nimmt, dass ich mich beim Beziehen meines Bettes (etwas) unbeholfen anstelle.
Von dem tragischen Schauspiel frustriert bittet sie mich, das Projekt doch lieber aufzugeben und an sie zu übergeben.
Nun ja, tatsächlich bittet sie mich weder erst, noch kommuniziert sie ihre passive Verzweiflung verbal, sondern sie packt die Dinge direkt an und bezieht mir kurzerhand mein Bett.
Deise Zuvorkommenheit werde ich auch auf dem späteren Streckenabschnitt von Jekaterinburg nach Nowosibirsk nochmal genießen.
Was mich aus kultureller Sicht an derartigen Gepflogenheiten begeistert, ist die Diskrepanz zwischen bitterernster Miene sowie entschlossenem Tonfall einerseits, und eben der liebevollen Hilfestellung andererseits.
Statt aufdringlich-höflichem Oberflächen-Singsang erfährt man hier „echte“, praktische Gesten der Freundschaft.
An die Kultur des wenig freundlich erscheinenden Gesichtsausdrucks muss ich mich zwar etwas gewöhnen, jedoch fühle ich mich durch die pragmatische Aufmerksamkeit zu jeder Zeit mehr als willkommen im Land.
Добро пожаловать в Россию!
2.6 Auenlandschaften auf dem Weg über den Ural
Die Fahrt von Nischni nach Jekaterinburg ist aus unterschiedlichen Gründen eine besondere Erfahrung – wenn man sie denn zur Kenntnis nimmt.
Zum einen passiert man das Ural-Gebirge, welches den ansonsten eher flachen mittleren Westen Russlands in Nord-Süd-Richtung durchzieht. Zum anderen wird die dadurch definierte geografische Grenze zwischen Europa und Asien überschritten…
Ich halte durchaus Ausschau, jedoch ist von dem Gebirge auf dieser Strecke nicht viel zu erkennen.
Auch der an der Bahnstrecke errichtete Obelisk, welcher die Grenze zwischen beiden Kontinenten markiert, entzieht sich leider meiner Aufmerksamkeit.
Landschaftlich ist diese Strecke zugegebenermaßen nicht außerordentlich aufregend, was vor allem ihrer weitläufigen Monotonie geschuldet ist. Zumeist durchdringen wir unendlich erscheinende Birken- und Nadel-Wälder in Niederungen, die in vielen Bereichen zu dieser Jahreszeit überflutet sind.
Als wir zur Abwechslung mal kleinere Siedlungen passieren oder an einem Flussabschnitt entlangfahren, gewinnen diese Auen jedoch plötzlich enorm an Attraktivität. Vielleicht liegt es an den frech kontrastierenden bunten Dächern oder an der sich entschlossen einschleichenden Asymmetrie des Panoramas.
Vielleicht aber auch an der schlichten Abwechslung nach stundenlangem Studium von Kiefern-Birken-Gesellschaften.
2.7 Wie ein Fußballspiel – nur länger als 90 Minuten
Dies soll nicht heißen, dass die Fahrt durch den Ural langweilig ist. Ganz im Gegenteil. Irgendwie ist es wie ein spannendes Fußball-Spiel, bei welchem über den gesamten Spielverlauf hinweg am Ende eben nur zwei Tore fallen.
Die Tore markieren die dramaturgischen Höhepunkte des Ereignisses und wecken Vorfreude auf das nächste Spiel.
Diese Fahrt dauert insgesamt circa 21 Stunden, und es gibt sicherlich unterschiedliche Typen von Reisenden, die sich auf unterschiedliche Art und Weise beschäftigen oder bei Laune halten.
Die Einheimischen, die diese Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn vielleicht häufiger und routinierter antreten (und entsprechend versiert bei dem Beziehen der Bettdecken sind), dürften von dem Reiseerlebnis weniger beeindruckt sein als die*der ausländische Transsib-Reisende auf ihrer*seiner persönlichen Jungfernfahrt.
So steigen etwa in Perm – der letzten großen Stadt vor der Ural-Passage – drei Jugendliche in mein Abteil, die sich durchgängig mit einem Kartenspiel amüsieren, während ich gebannt auf den nächsten landschaftlichen Impuls warte.
Die in Perm aussteigenden Abteil-Genoss:innen lesen und unterhalten sich, wenn sie nicht schlafen. Generell sind Offenheit und Kommunikationsfreude der russischen Zugreisenden auffällig hoch und an sich schon die lange Reise wert.
Du kannst dich, sofern du die Sprachbarriere überwinden kannst, immer in die Gespräche einbinden – oder du gibst dich einfach dem monotonen Ausblick sowie dem Schienen-Rattern hin. Einfach die Reisezeit meditativ für dich nutzen.
☝Selfcare auf Schienen!☝
2.8 Mein Fazit | Etappe 2
Neben den kleineren landschaftlichen Attraktionen und bisweilen entgegenkommenden Zügen sind kleinere Zwischenstopps und Provinzbahnhöfe immer wieder eine schöne Abwechslung.
Die Fassaden vieler russischer Bahnhöfe sind in den typischen, auffälligen Pastell-Farben gehalten. Doch auch hier bietet die Strecke Abwechslung, und man begegnet neben starren Funktionsbauten auch solchen mit lieblichen Features.
Die legendären Babuschkas (Ба́бушка), jene Frauen, die die Reisenden auf den Bahnsteigen mit Speis und Trank versorgen, nehme ich auf diesem Streckenabschnitt noch nicht wirklich zur Kenntnis. Dies sollte sich später – ab West-Sibirien – ändern. Bis dahin erkunde ich erstmal Jekaterinburg, meine erste Station auf dem asiatischen Kontinent. Um 17:10h ist es so weit. Meine erste Nachtfahrt in der Transsibirischen Eisenbahn geht zu Ende, und ich erreiche die viertgrößte Stadt Russlands.
3. Jekaterinburg – Nowosibirsk | Gentleman & Räucherfisch
3.1 Mit dem Nachtzug ‚092И Moskau–Severobaykalsk‘
Die 3. Etappe von Jekaterinburg nach Nowosibirsk trete ich mit mindestens einem weinenden Auge an, denn in der Stadt an der Isset habe ich mich besonders wohl und willkommen gefühlt.
Aber jede Backerpacker-Tour geht irgendwann mal weiter – und immerhin fährt der Zug mit der Nummer 092И erst am späten Abend.
📌 Reisebegegnung
Drunken Driver zum Bahnhof
Für die Fahrt zum Bahnhof von Jekaterinburg habe ich mir ein Taxi bestellt – das nächste kleine Abenteuer. Die Windschutzscheibe des Fahrzeugs ist – gelinde gesagt – gesprungen, und der Fahrer maskulin-angetrunken, aber durchaus freundlich und lustig.
Auch von diesem Kollegen bekomme ich mitgeteilt, dass er sich über meinen Besuch in Russland – und besonders Jekaterinburg – freut, jedoch kann ich dasselbe nicht über seinen feuchtfröhlichen Fahrstil sagen.
Naja, das zählt dann wohl zu den mehr oder weniger kleinen Risiken, die man als Reisender in Kauf nimmt. Generell schätze ich tatsächlich die im Straßenverkehr lauernden Gefahren als die größten ein, die einen bei solchen internationalen Reisen erwarten.
Sofern man sich nicht auf extreme Wetter-und-Kletter-Bedingungen einlässt.
3.2 Routine am Bahnhof
Am Bahnhof warte ich also wie gewohnt auf die Boarding Time für meinen Zug Nr. 092 (Поезд 092И) nach Nowosibirsk, dessen Abfahrt auf 21:55 Uhr angesetzt ist. Mittlerweile begreife ich auch die Gepflogenheiten an russischen (Transsib-) Bahnhöfen etwas besser.
In der Wartehalle zeige ich einer Kondukteurin selbstsicher mein Ticket und warte, bis die Gleisnummer an der Anzeigetafel auftaucht. Dies geschieht erneut relativ kurzfristig, ca. 15-20 Minuten vor Einfahrt des Zuges.
Auch der Rest ist wie gehabt: am Bahnsteig zeige ich mein Ticket und meinen Reisepass beim Einstieg dem für meinen Schlafwagen zuständigen Provodnik (проводник) und freue mich auf meine reservierte Koje in der 2. Klasse – im Kupe.
3.3 Komfort im Schlafwagen von Zug Nr. 92
Dieser Zug ist im Vergleich zum „Rossija“ innen etwas „klassischer“ ausgestattet. Die Wände und Türen sind allesamt mit einer charmant-polierten Holzvertäfelung versehen und die Schlafplätze und Bettdecken haben sicher auch schon die ein oder andere turbulente Geschichte zu erzählen.
Die etwa 22-stündige Fahrt verbringe ich mit zwei Männern in einem Kupe- (2. Klasse) Abteil. Einer der beiden scheint ein Soldat auf Heimreise zu sein, der andere ein gut gekleideter Gentleman mit einigermaßen guten Englisch-Kenntnissen.
Das ist tatsächlich eine Besonderheit, auf die man relativ selten in den Zügen der Transsibirischen Eisenbahn trifft.
Wie bereits auf meinem letzten Streckenabschnitt wird mir gastfreundlicher Weise – durch den Gentleman – mein Bett bezogen.
Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob es wirklich die reine Gastfreundschaft ist oder ob ich mich nicht doch allzu deppert anstelle.
Ich fühle mich im Abteil jedenfalls willkommen, und mir wird durchaus auch Interesse an meiner Reiseroute entgegengebracht.
Der Gentleman stammt aus Tomsk, einer wohl sehr pittoresken Großstadt in der Nähe (sibirische Skala) von Nowosibirsk. Er rät mir, unbedingt einen Abstecher per 5-stündiger Busfahrt dorthin zu machen.
Obwohl mich die Idee reizt, und man in Tomsk wohl die volle Dosis sibirischer Holzhaus-Architektur erleben kann, bleibe ich bei meiner geplanten Route der Transsibirischen Eisenbahn, die zeitlich ohnehin schon relativ knapp bemessen ist. Leider.
Ich hatte die gesamte Route bis Peking im Vorfeld durchgebucht, aus Furcht vor überfüllten Zügen und Ticketknappheit bei spontanen Fahrten. Um diese Jahreszeit im April/ Mai scheint dies jedoch kein Problem zu sein.
Eine Einschränkung ist dagegen freilich die vierwöchige Gültigkeit des Russland-Visums. Ich möchte mich nicht in der Situation wiederfinden, das Visum überzogen zu haben und vielleicht nicht mehr ausreisen zu können.
3.4 Kurzausflug in Omsk
Nach der friedlichen Nachtruhe treffen wir am Morgen in Omsk (Омск) ein, jener Stadt, die ich von meiner ursprünglichen Route gestrichen hatte.
Da der Zug hier einen längeren Stopp einlegt und der Gentleman eben ein Gentleman ist, bietet er mir an, gemeinsam den schönen Bahnhof (Омск-Пассажи́рский) zu besichtigen.
Tatsächlich ist dieser Bahnhof, der Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Konstruktion der Transsibirischen Eisenbahn errichtet und in seiner heutigen Erscheinung 1958 fertiggestellt wurde, einer der eindrucksvollsten Bahnhöfe auf der Reise.
Stilistisch erinnert er an den Weißrussischen Bahnhof in Moskau und den Bahnhof Nowosibirsks, und wartet mit einer großen Wartehalle auf.
Nach einer kurzen Fotosession wird es dann noch spannend. Wir haben unsere kleine Exkursion nämlich etwas verspätet angetreten und letztlich nur 10 Minuten Zeit, bis die Schaffnerin ihren Lungeninhalt wieder durch ihre Pfeife filtrieren würde.
Das hält den Gentleman nicht davon ab, nochmal die Toilette aufsuchen zu müssen und mich zu bitten, die Prodovnica um etwas Geduld zu bitten. Schließlich genießen alle Prodovniks vor den Waggons noch ihre Zigarettenpause, begrüßen mich mit einem freundlichen „Gute Morge“ und lassen auch den heran rennenden Gentleman noch einsteigen.
3.5 Räucherfisch in Barabinsk
Das nächste klassische Highlight auf der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn wartet dann auch schon fünf Stunden später auf mich: der Bahnsteig von Barabinsk (Барабинск).
Die mittelgroße Stadt ist besonders für ihre lokalen, aus den umgebenden Seen stammenden Fischerzeugnisse berühmt. Und so versammeln sich hier am Gleis mehrere Verkäufer:innen, die an Metallhaken angereihte Räucherfische feilbieten. Auch meine beiden Kabinengenossen haben sich nicht zweimal bitten lassen, und kehren mit je einer halbvollen Tüte dieser aromatischen sibirischen Spezialitäten zurück ins Abteil. Mir wurde durchaus angeboten, davon mitzunaschen …
Ich ärgere mich mittlerweile ein wenig, damals abgelehnt zu haben. Am Ende war die davon ausgehende Geruchsnote weniger schlimm als man sich das klischeehaft erzählen würde.
Ansonsten ist die Fahrt bis zur Ankunft in Nowosibirsk wenig aufregend.
Die landschaftliche Monotonie verliert als solche irgendwann – also nach etlichen Stunden – vollständig ihren Reiz und auch die erforderliche Kompromissbereitschaft im Abteil strengt mich bisweilen an.
Man muss dazu wissen, dass es in diesen Abteilen je zwei Ober- und zwei Unterbetten gibt. Tagsüber werden die unteren Liegen von allen Mitreisenden in der Kabine als Sitzgelegenheiten genutzt.
Das heißt, dass es als unhöflich aufgefasst werden könnte, wenn man seinen Schlafplatz liegender Weise als solchen nutzt.
Zwischendurch gibt es noch ein kleines Unterhaltungsprogramm: aus einem Tablet wird ein in russischer Sprache kommentierter Film über traditionellen Schiffsbau in der abgelegenen sibirischen Taiga angesehen. Immerhin wird versucht, mir das Gesehene ein wenig zu erklären. Und die filmische Darstellung der Handanfertigung von einteiligen Schiffsrümpfen aus Baumstämmen (innerhalb von 3 Tagen) ist schon beeindruckend.
Schließlich erreichen wir Nowosibirsk am Abend, und ich verabschiedete mich vor dem Bahnhof noch von dem Gentleman. Er versucht ein letztes Mal (vergeblich), mich von einer Weiterreise nach Tomsk zu überzeugen.
Das nächste Mal – mit Sicherheit das nächste Mal!
3.6 Mein Fazit | Etappe 3
Die Fahrt mit dem Nachtzug von Jekaterinburg nach Nowosibirsk hatte so ziemlich alles im Angebot, was man von einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn erwartet. Jedenfalls geht es mir so.
Der Zug mit der Nr. 92 kommt mit einem sehr rustikalen Charme und schickte mich wenigstens ein paar Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit. Der Komfort – und vielleicht auch die Appetitlichkeit – des Interieurs ist natürlich nicht ganz auf dem Niveau des „Rossija„ oder „Jenissei„. Dafür bekommst du in diesem Zug die oft erhoffte Portion Authentizität. Dass ich dabei noch interessante Gesellschaft hatte und an den berühmten Räucherfischen von Barabinsk riechen durfte, rundete diese Erfahrung nochmal ab.
Auch, wenn es zwischendurch mal langweilig oder auch etwas anstrengend werden kann. Das gehört bei dieser Reise halt dazu.
4. Nowosibirsk – Krasnojarsk | Erhellte Osternacht
4.1 Mit dem Nachtzug ‚056ЫА Moskau-Ulan-Ude‘
Mein Zug nach Krasnojarsk fährt um 18:34 h ab. Mittlerweile bin ich bereits selbstbewusster Transsib-Routinier und stelle am Bahnhof nur noch eine einzige Orientierungsfrage. Der Zug Nr. 056ЫА fährt schließlich von Gleis 1 und ist vom Typ „Jenissei“.
Das bedeutet komforttechnisch natürlich ein ‚Upgrade‘ zur vorangegangenen Etappe mit der Transsib.
Die Innenausstattung ist modern, mit Lesebeleuchtung, heller Innenauskleidung und weniger mitgenommenen leuchtend-blau bezogenen Bänken.
4.2 Alleine im Schlafabteil durch Sibirien
Und ein noch größeres Upgrade ist es, dass ich das gesamte 4er-Schlafwagen-Abteil für mich allein habe.
Das bedeutet: „Beine ausstrecken und in den sibirischen Sonnenuntergang blicken!“
4.3 Monotonie und Lichtzauber am Fuße des Altai
Und ganz nebenbei kann ich mich in meditativer Manier wieder komplett dem Klickety Klack des Rad-Schienen-Systems hingeben.
Und mich von dieser dynamischen Monotonie des Ratterns in den Schlaf begleiten lassen.
Es ist natürlich auch etwas schade, dass ich hier keinen Austausch mit (einheimischen) Mitreisenden habe.
Nach der letzten Transsib-Etappe freue ich mich aber auf die Extraportion Erholung während dieser ohnehin nur ca. 12-stündigen Fahrt weiter Richtung sibirischem Osten.
Auch auf diesm Teil derr Strecke der Transsibirischen Eisenbahn dominiert landschaftlich die konsequente, sibirische Weite im Einklang mit der sturen vegetativen Monotonie.
Man könnte die sibirische Landschaft auch mit drei einfachen Wörtern beschreiben: Birken, Birken, Birken…
Im Vergleich zur vorangegangenen Etappe verändert sich die Landschaft durchaus ein wenig – für sibirische Verhältnisse.
In leichten Ansätzen zeigen sich auf der Reise nach Krasnojarsk die nördlichen Ausläufer des südsibirischen Altai-Gebirges.
Zwischen den zahlreichen Birken und Nadelbäumen tauchen auch immer wieder kleine Dörfer aus Holzhäusern auf.
Ich genieße die Eindrücke vor der Kulisse des Sonnenuntergangs.
Und dann wird es dunkel – aber mit einem lichten Akzent.
Es ist die Nacht zum orthodoxen Ostersonntag – am Himmel steigen über einigen Dörfern Feuerwerksraketen auf.
Unter orthodoxen Christen ist der Griff zur Pyrotechnik in der Osternacht nicht unüblich. Nach dem festlichen Gottesdienst um Mitternacht wird in manchen Gemeinden Feuerwerk abgefeuert, um die Auferstehung Jesu Christi gebührend zu feiern.
Христос воскрес!
Nach eine ansonsten ereignislosen Fahrt im leeren Abteil erreiche ich die Stadt am Jenissei am frühen Morgen um 7:40 Uhr.
Ich freue mich auf meine erste Wanderung in der sibirischen Natur während dieser Reise.
Neben dem Stolby Nationalpark warten in Krasnojarsk ein wunderschönes Flusspanorama und eine Extraportion russische Geschichte auf mich:
Der russische Ostersonntag fällt im Jahr 2016 auf den 1. Mai.
Der Tag der Arbeit in post-kommunistischen Gefilden.
4.4 Mein Fazit | Etappe 4
Die Etappe zwischen Nowosibirsk und Krasnojarsk war dank eines leeren Kupe-Abteils für mich sehr angenehm und entspannend.
Auch den gehobenen Komfort von Zug Nr. 082И habe ich durchaus genossen.
Allerdings war diese Fahrt auch weniger spektakulär als die anderen Streckenabschnitte der Transsibirien Eisenbahn.
Einerseits, weil der moderne Zug nicht so den Vintage-Flair hatte – andererseits, weil ohne Gesellschaft im Abteil quasi auch das authentische Kultur-Erlebnis ausbleibt.
Und die meiste Zeit über war es natürlich auch dunkel.
Das Highlight war dann im wahrsten Sinne das Osterfeuerwerk – also irgendwie doch ein authentischer Hauch lokaler Traditionen.
5. Krasnojarsk – Irkutsk | Welcome to Siberia
5.1 Mit dem Nachtzug ‚070Ч Moskau-Tschita‘
Nachtmittags um 13:24h geht es mit Zug Nr. 070Ch (070Ч) weiter von Krasnojarsk nach Irkutsk. So langsam wird es ernst. Ich nähere mich dem Baikal-See, Höhepunkt und Belohnung einer jeden Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn.
Diesmal wird es auch wieder eine ordentliche Tag- und Nachtfahrt mit einer Fahrzeit von 19 Stunden bis Irkutsk. Und so werde ich auch wieder etwas mehr von Sibirien zu sehen bekommen, denn die Fahrt startet bei sonnigem Tageslicht mit halbwegs blauem Himmel.
Wie immer beziehe ich ein Kupe-Abteil, das ich mir mit einem jungen Isländer und einer jungen, gut englisch-sprechenden Russin teile.
Die Kabine ist also nicht voll besetzt.
Dafür werde ich später noch dankbar für exakt diese Gesellschaft sein.
Denn auf und drei kommt im Laufe der Fahrt noch eine interessante, gemeinsame zwischenmenschliche Erfahrung zu, von der zunächst noch nichts zu ahnen ist.
Der Isländer erzählt mir, dass er sich insgesamt acht Monate Auszeit genommen hat, um auf diese Reise bis nach China zu gehen. Genau genommen hat er seinen Job als Koch in Dänemark gekündigt und möchte sich auf der Reise unter anderem von der chinesischen Kunst der Nudelzubereitung inspirieren lassen, um sich nach der Heimkehr dann selbstständig zu machen.
Ich setze mich mit ihm zum Abendessen in den Speisewagen, wo ich mich selbst mit (buttrigen) Bratkartoffeln und Krautsalat sättige. Er erzählt mir von der französischen Cuisine, der Mutter aller Küchen.
Plötzlich stößt ein sichtlich betrunkener junger Russe dazu, der neben seinem Zustand auch durch sein martialisch gestaltetes, nationalistisches T-Shirt auffällt. Auf den ersten Blick keiner jener Typen, die man versucht, spontan mit flapsigen Neckereien von einem kumpelig-freundschaftlichen Verhältnis zu überzeugen.
Er beginnt sich für unsere Kopfbedeckungen zu interessieren, möchte sie aufprobieren. Der Gute möchte ihrer schließlich habhaft werden und schlägt irgendwelche Deals vor, die ausschließlich seinem Vorteil dienen. Wir merken, dass es ihm nicht ernsthaft um die Caps geht, sondern um die Unannehmlichkeit, die in dieser Situation für alle Beteiligten entsteht.
Zu unserem Glück stößt bald unsere russische Abteil-Genossin hinzu, die zufällig mit-verantwortlich für den Zustand unseres neuen Freundes ist.
Die beiden haben sich zuvor nämlich gemeinsam den ein oder anderen Vodka gegönnt.
Hilfreich ist sie einerseits, weil sie die Sprachbarriere – der junge Mann spricht ausschließlich Russisch – zu überwinden hilft, andererseits, weil sie es schafft, unseren ungerufenen Kontrahenten ein wenig zu de-testosteronisieren.
Als der sich daraufhin als Sascha vorstellt und uns brüderlich die ewige Freundschaft anbietet (die wir pragmatisch annehmen), kommentiert sie gelassen:
Welcome to Siberia!
5.2 Hilfsbereitschaft im Russischen Nachtzug
Als ich Sascha endlich „los bin“, steigt an der nächsten Station eine ältere Dame mit mehreren ziemlich schweren Kisten zu.
Ich helfe ihr dabei, das Gepäck in das Platzkartny–Abteil zu tragen.
Es sind wirklich ziemlich schwere Kisten und ich muss meinem Rücken ein wenig Entspannung versprechen, damit er das mitmacht.
Auf der gesamten Strecke der Transsibirischen Eisenbahn begegnet man vielen Menschen, die den Zug auch für den Transport größerer Mengen an Waren nutzen.
Ich bin erstaunt und frage mich, wie diese Frau mit ihren vier extrem schweren Kisten es schafft, diese Reise im Alleingang zu bewältigen.
Offenbar kann man sich hierzulande schlichtweg auf die Hilfsbereitschaft seiner Mitreisenden verlassen.
Die mir entgegengebrachte Hilfsbereitschaft ist sicher nicht spezifisch für ausländische Touristen, sondern meiner Meinung nach ein Teil der russischen Kultur.
Ein Teil solidarischen Miteinanders.
Wie zuvor an diesem Abend beobachtet, lässt sich selbst eine konstruierte Anfeindung kurzerhand in ein „brüderliches“ Verhältnis überführen.
5.3 Tochter des Baikal
Den Rest der Fahrt kann ich schließlich der vorbeiziehenden Landschaft und meiner heute besonders wohl-verdienten Nachtruhe widmen.
Es bleibt weiter leicht hügelig und etwas abwechslungsreicher als auf den Etappen im Westen Sibiriens.
Einige schöne Provinz-Bahnhöfe passieren wir unterwegs, während der Mythos Baikalsee immer näher kommt.
Eigentlich nähern wir uns mit der Transsibirischen Eisenbahn ja dem Baikalsee. Und dessen Sagenwelt macht sich allmählich bemerkbar.
Denn der letzte Stopp vor Irkutsk ist die Großstadt Angarsk (ангарск), deren Name bereits auf den nächsten großen sibirischen Fluss hinweist, die Angara (Ангара).
Die Angara ist jedoch nicht nur irgendein großer Fluss… Sie wird auch die (einzige) „Tochter des Baikal“ genannt.
Dies hat einerseits mit dem großen Mythos rund um den ➟Schamanenfelsen auf der Insel Olchon zu tun. Andererseits ist die Angara auch der einzige Abfluss des Baikalsees, und sie steht den hunderten von Zuflüssen, den Söhnen des Baikals, gegenüber.
5.4 Ankunft in Irkutsk
Nach dem Ausstieg in Irkutsk am frühen Morgen begegne ich vor dem Bahnhofsgebäude nochmal Sascha, der sich offenbar am Kiosk mit leckeren Snacks für seine weitere Fahrt nach Tschita (Чита) eingedeckt hat.
Wir bekräftigen nochmal unsere Freundschaft, wünschen uns alles Gute für die weitere Reise und verabschieden uns.
Leider versäume ich es, ein gemeinsames Selfie zu schießen. Egal.
Neumodischer Firlefanz!
5.5 Mein Fazit | Etappe 5
Die Zugfahrt von Krasnojarsk nach Irkutsk war vor allem durch die interessante Begegnung im Speisewagen geprägt. So eine Story bleibt natürlich hängen, da sie – beginnend beim fließenden Vodka – einige Klischees bedient.
Den Alkoholkonsum erlebe ich in den russischen Zügen sonst eigentlich als sehr gemäßigt – wenn überhaupt. Denn Alkohol ist in der Transsib prinzipiell verboten. Mit Ausnahme des Speisewagens.
Dass es vielleicht fast zu einem körperlichen Übergriff gekommen wäre – geschenkt. Ist ja nochmal gut gegangen. Und man will ja schließlich auch was erleben auf so einer Reise. Landschaftlich kamen hier keine ganz großen Akzente dazu.
Aber der Spirit vom Baikal wurde spürbarer. Und von Irkutsk ging es dann ja auch per Marschrutka an das Heilige Meer der Schamanen…
6. Irkutsk – Ulan-Ude | Mit dem Zug entlang des Baikalsees
6.1 Tagesfahrt im Zug ‚020ЧА Moskau-Peking‘
Der vielleicht schönste und berühmteste Streckenabschnitt auf der Transsibirischen Route Richtung ➟Peking ist jener von Irkutsk nach Ulan-Ude im Herzen Burjatiens.
Die Zugfahrt ist mit circa 8 Stunden vergleichsweise kurz und in meinem Fall keine Nachtfahrt.
Aber die Landschaft entlang dieser Strecke durch Burjatien ist umso eindrucksvoller.
Ich habe mich für eine frühe Fahrt von 8:14 h bis 16:21 h mit Zug Nr. 020ЧА entschieden.
Dies ist übrigens jener Zug, der die komplette Transmandschurische Route von Moskau über Harbin nach Peking abfährt.
6.2 Der Größe Höhepunkt – Fenster zum Baikalsee
Die Strecke führt entlang des West- und Südufers des Baikalsees.
Die wunderbare Aussicht auf das größte Süßwasserreservoir der Erde bekommt man (in Richtung Ulan-Ude) auf der linken Seite des Zuges.
Für mich bedeutet das, dass ich mich die meiste Zeit in den Gang des Schlafwagens stelle und meine Nase ans Fenster klebe.
Von meinem leeren Kupe-Abteil aus gibt es zwar auf der rechten Seite der Strecke auch Interessantes zu sehen, wie beispielsweise die traditionellen sibirischen Holzhaus-Siedlungen.
Dennoch gewinnt natürlich der Baikalsee auf der linken Seite das Rennen um meine Aufmerksamkeit.
Diese Teilstrecke liefern tatsächlich jene fantastischen Bilder, die man immer wieder stellvertretend für die Reise mit der Transsibirische Eisenbahn in Reisereportagen und Insta-Feeds zu sehen bekommt.
Eine malerische Belohnung nach Tausenden von zurückgelegten Kilometern, die von einer monotonen Kulisse endloser Birkenwälder und Flussauen geprägt waren.
💡 Mein Tipp
Wenn du eine Reise mit der Transsib planst, solltest du für diesen Abschnitt unbedingt eine Fahrt bei Tageslicht buchen.
Allerdings habe ich an meinem Reisetag nicht ganz soviel Glück mit den Wetterbedingungen.
Die Sicht auf den riesigen See und die Küste ist zumeist etwas nieselig und eingetrübt.
Zeitweise ziehen sich die Wolken rasch zurück, als wollten sie sich vor der erhabenen Pracht der Zarenbahn verbeugen.
Nur um das kaiserliche Einverständnis für die wiederkehrenden Launen der Natur zu erbeten.
Und so zeigt sich mir der Baikalsee in einigen seiner unterschiedlichen saisonalen Stadien.
Streckenweise sehe ich am Ufer noch die letzten Reste der winterlichen Eisdecke – dann zeigt er sich plötzlich quicklebendig in seinem Frühlingsgewand.
Kleine Wellen brechen am Ufer und begrüßen die Reisenden im fernen Osten Russlands.
6.3 Entlang der Selenga durch Burjatien
Südlich von Irkutsk und des Baikals durchqueren wir die hügelige Landschaft Burjatiens mit ihren majestätischen Bergformationen und eisigen Schneegipfeln, den charmanten kleinen Dörfern und einem überraschenden Schleier aus herabrieselndem Neuschnee, der den Nadelwald bedeckt.
Später wird die Route dann noch von der mächtigen Selenga (Селенга) begleitet, einer der größten Zuflüsse des Baikalsees und quasi Oberlauf der Angara.
Oder gemäß der schamanischen Mythologie: größter Sohn des Baikals und Bruder der Angara.
Der Zug überquert die mächtige Selenga auf einer pragmatisch konstruierten, rustikal gestalteten Stahlbrücke und gewährt mir Blicke auf eine ebenso rustikale Landschaft zum Jahreszeitenwechsel.
Ein Blick auf eine Region, die irgendwie noch zerstreuter und etwas bunter wirkt als die Etappen zuvor. Wohl nicht ganz zufällig.
Burjatien zeichnet sich nicht nur durch eine reiche Kultur und buddhistische Traditionen aus, sondern auch durch die lebendige Vielfalt der Landschaften und die bunte Mischung ethnischer Einflüsse.
Dabei sticht auch die vermeintlich sehr ähnliche, jedoch nicht identische Geschichte und Kultur der Burjaten im Vergleich zu jener der Mongolen ins Auge.
Rund um den Baikalsee ist das Wasser naturgemäß weniger knapp, und der nomadische Lebensstil daher historisch nicht so dominierend wie in der ➟trockenen Mongolei.
Mit diesen besonderen Eindrücken freue ich mich auf meine letzte Station in Russland – auf die Hauptstadt der Teilrepublik Burjatien, Ulan-Ude.
Mein letzter Stopp vor der Mongolei
6.4 Mein Fazit | Etappe 6
Die Etappe von Irkutsk nach Ulan-Ude entlang des Baikalsees ist der ästhetische Höhepunkt meiner Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn. In den kurzweiligen 8 Stunden bietet die Fahrt wirklich atemberaubende Ausblicke auf den Baikalsee – im Frühjahr sogar in verschiedenen saisonalen Stadien.
Auch die landschaftliche Vielfalt Burjatiens hat es mir angetan – jedenfalls in den Ansätzen, die sich mir im Schoße der Selenga präsentierten. Im Zug selbst waren mir diesmal keine weiteren Begegnungen vergönnt. Mein Kupe war leer – nur phasenweise hat sich eine Einheimische stillschweigend mit einem guten Buch dazugesellt.
Aber bei dieser Aussicht auf den Mythos Baikal braucht es auch gar keine weitere Unterhaltung!
Fazit | Meine Reise mit der Transsib
Komfort und Reiseerlebnis
Für die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn gibt es unterschiedliche Optionen bezüglich der Komfort-Klassen, die zum Teil unterschiedliche Reiseerlebnisse versprechen.
Grundsätzlich heißt es, dass Intensität und Authentizität des Lebens im Zug mit steigendem Komfortniveau abnehmen.
Eigentlich ein guter Deal: Je billiger, desto aufregender. Allerdings kann das natürlich jede*r unterschiedlich bewerten – Budget sowie Sicherheits- und Ruhebedürfnis sind sehr unterschiedlich.
Das gute aber ist: solltest du Zwischenstopps einplanen, bist du flexibel und kannst für die einzelnen Reiseabschnitte unterschiedliche Klassen buchen.
Ich selbst habe die Reise von Moskau bis Ulan Ude vollständig im Kupe-Abteil (2. Klasse) verbracht.
Auf den meisten Streckenabschnitten kam ich dabei auch in Kontakt mit einheimischen Mitreisenden.
Die Russen kamen dabei immer auf mich zu. Ich erlebte dabei eine ungewohnte Gastfreundschaft, großes Interesse und ehrliche Herzlichkeit.
Reiseklassen der Transsibirischen Eisenbahn
Komfortklasse | Bezeichnung | Art |
---|---|---|
1. Klasse | Lux | Privates Abteil mit 2 Betten |
2. Klasse | Kupe | Geteiltes Abteil mit 4 Betten |
3. Klasse | Platzkartny | Großraumwagen mit 54 Betten |
Vermutlich bekommst du im Großraum-Wagen der Platzkartny–Abteile (3. Klasse) einen noch intensiveren Eindruck von dem sozialen Reiseleben während der langen Strecken durch Sibirien.
Ich persönlich genieße als eher introvertierter Mensch auch die Phasen der Ruhe und halte die Kupe-Variante mit maximal 3 Mitreisenden im Abteil für den idealen Kompromiss.
Für viele ist die Gesellschaft im Abteil natürlich das eigentliche Reiseerlebnis mit der Transsibirischen Eisenbahn.
Auf diese Weise tauchst du ganz von selbst ein wenig in das echte russische/ sibirische Leben ein.
Wenigstens in eine wichtige Facette des Lebens in diesem riesigen Land. Und jedenfalls während einer kurzen Episode.
Sibirische Landschaften
Da müssen wir uns nichts vormachen! Die landschaftlichen Eindrücke allein sind über weite Strecken sehr monoton und langweilig. Besonders im Westen Sibiriens – Nadelwald und geflutete Birken-Haine im Frühjahr.
Vielleicht bringen die Sommer- oder Wintermonate ja etwas mehr ästhetische Würze mit – aber die sibirische Vegetation bleibt nunmal die sibirische Vegetation.
Spannender wird es tatsächlich nach Osten hin – in den Ausläufern des Altai Gebirges bei Krasnojarsk.
Und dann mit dem zweifelsfreien Höhepunkt auf der kurzen Strecke zwischen Irkutsk und Ulan Ude, entlang des majästetischen Baikalsees.
Und auch die verschiedenen Eindrücke von der autonomen Region Burjatien bleiben mir im visuellen Gedächtnis.
Das Tolle ist hier, dass man entlang der Zugstrecke bereits ein grobes Bild von der Geographie und Mythologie des Baikalsees bekommt.
Wenn man den will…
Die vielen Zuflüsse und der einzige Abfluss dieses riesigen, sagenbehafteten Herzen Sibiriens erzählen schon ihre eigenen Geschichten… oder eben ihre Versionen der Familiengeschichte des Heiligen Baikals.
Am Ende weißt du nie, was und wer auf dich zukommt.
Lass die Reise doch einfach auf dich zukommen!
📌 Bist du auch schonmal mit der Transsibirischen Eisenbahn gereist❓
- Welches sind deine Lieblingsorte entlang der Strecke der Transsib❓
- Hast du weitere interessante Tipps für eine Reise nach Sibirien❓
- Ich bin gespannt, 👇 in den Kommentaren 👇 von deinen Erfahrungen zu lesen und freue mich auch auf deine Fragen.
☞ Kontaktiere mich auch gerne auf meinen Social Media-Kanälen oder per E-Mail: hello@east-rail-stories.de
📌 Diese Artikel könnten auch spannend für dich sein
Weitere Reiseberichte zur Transsib
- Blog-Artikel über eine Reise mit dem Sonderzug „Zarengold“ auf ➟unterwegs-mit-madlen.de
- Ein toller Bericht mit tollen Fotosauf mami-bloggt.de zur Reise mit der ➟Transsibirischen Eisenbahn mit Kindern
❗Hinweis
Alle in diesem Artikel beschriebenen Reisen wurden privat finanziert. Ich erhalte keine finanziellen Zuwendungen von in diesem Artikel genannten Unternehmen oder anderen Organisationen.
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