Die wenigsten Menschen bringen Nordkorea in irgendeiner Form mit Urlaub und Tourismus in Verbindung. Allzu viel Spielraum gibt es für Reisen dorthin auch nicht. Und auch die Medienberichte über das Land sind nicht besonders einladend. In China dagegen gibt es einen gewissen Trend zum Grenztourismus – einschließlich der Grenze zum benachbarten Nordkorea.
Warum nach Dandong reisen?
Als ich im Jahr 2016 auf meiner Zugreise von Berlin nach Saigon endlich in ➠China ankomme, habe ich die Qual der Wahl. Mein double entry Visum erlaubt es mir, mich insgesamt acht Wochen im Reich der Mitte herumzutreiben. Das klingt nach einer langen Zeit – ist es auch. Doch China ist riesig und vielseitig. Meine Reiseroute Richtung Vietnam führt zwangsläufig südwärts. Von ➠Peking aus werde ich zu einigen der touristischen Must-Sees wie der ➠alten Kaiserstadt Xi´an oder den verwunschenen Karstlandschaften rund um Guilin reisen. Doch mich interessieren auch etwas weniger offensichtliche Ausflugsziele. Der Norden Chinas taucht in nicht allzu vielen westlichen Reiseberichten auf.

Insbesondere der Nordosten, Dongbei (东北), der chinesische Teil der historischen Region Mandschurei (满洲) ist für mich ein noch unbeschriebenes Blatt. Abgesehen von dem dort handelnden Roman „Wilde Schwäne“ der Autorin Jung Chang, den ich etwa 12 Jahre zuvor mal gelesen hatte, ohne das Setting damals irgendwie einordnen zu können. In diesem spannenden Teil Chinas verschmilzt die chinesische Kultur merklich mit den kulturellen Einflüssen der hier angrenzenden Länder Russland und Korea. Oder genauer: Nordkorea.
Ich bin durchaus neugierig. Wie sieht es wohl an der nordkoreanischen Grenze aus? Gibt es dort Hostels für Rucksackreisende? Bin ich dort erwünscht? Ich wage den Abstecher. Meine erste Zugfahrt mit dem chinesischen Schnellzug der CRH (中國高速鐵路) führt mich vom Pekinger Südbahnhof (Beijing Nan, 北京南站) nach Dandong (丹東市), der wichtigsten chinesisch-koreanischen Grenzstadt, und dem größten chinesischen Handelsplatz mit Nordkorea. Und an die Brücke nach Nordkorea – die chinesisch-koreanische Freundschaftsbrücke.
Reisebericht Dandong
Mit dem Schnellzug durch die Provinz Liaoning


Fünf Stunden dauert die Fahrt zum zentralen Bahnhof in Dandong. Besonders für China-Neulinge wie mich damals ist diese Zugfahrt eine spannende Erfahrung. Zum einen führt die Strecke durch das schwerindustrielle Zentrum Nordostchinas. Vorbei an Metropolen wie Shenyang (瀋陽市) und Benxi (本溪市) genieße ich den Blick auf die Hochburgen des Kohlebergbaus und der Stahlindustrie. Nun ja, was davon eben zu sehen ist; und was davon eben zu genießen ist. Die berüchtigten, chinesischen Smog-Schleier sind in dieser Region trübe Realität und vermitteln eine leicht dystopische Stimmung.

Große Städte sind am vorgezogenen Horizont allenfalls als Silhouetten zu erkennen. Die strahlende Sonne ebenfalls. Die Sichtweite beschränkt sich auf wenige Kilometer… soweit ich das einschätzen kann. Zum anderen zeigen sich – sofern es die Luftreinheit erlaubt – bewaldete, hügelige Landschaften. Denn die Strecke führt durch Teile der Liaoxi- und Liaodong Hochländer: Berg- und Hügellandschaften im Westen (-xi) bzw. Osten (-dong) der Provinz Liaoning (辽宁), mit bisweilen stattlichen Erhebungen, die den Ortschaften einen weiteren, gar grünen Schleier verleihen.

Je nach persönlichem Blickwinkel: verwunschene Landschaft oder gespenstische Szenerie. Auf jeden Fall besondere Eindrücke und eine besondere Erfahrung. Die Verbesserung der Luftqualität ist ein zentraler Punkt des aktuellen Fünfjahresplans (➠chinadialogue.net) der Regierung und ich bin gespannt, wie sich diese schöne Landschaft in einigen Jahren vielleicht schon präsentiert.

Begrüßung am Bahnhof Dandong
Die Stadt Dandong rangiert mit seinen immerhin knapp 2,5 Millionen Einwohner:innen auf Platz 9 der größten Städte der Provinz Liaoning. Im innerstädtischen Bereich leben zwischen 600.000 und 700.000 Menschen. Das gibt uns eine kleine Idee über die chinesischen Bevölkerungsdimensionen. Keine dieser Städte war mir vor meiner ersten Chinareise ein Begriff. Mittlerweile weiß ich, dass sich ein Besuch dieser Orte in jedem Fall lohnt. Liaoning wie auch der gesamte Nordosten vermag besondere Geschichten zu erzählen.

Geschichten über die Geschichte, Geschichten über die Gegenwart. Wie erwähnt: kultureller Schmelztiegel, ethnisch dynamisches Gebiet. In Dandong lebt unter anderem eine koreanische Minderheit. Zurückzuführen auf die Geschichte der Region als historisches koreanisches Siedlungsgebiet, und nicht zuletzt auf die offensichtliche Nähe zur koreanischen Halbinsel.
Am Bahnhof Dandong werde zunächst von einer zentralen historischen Persönlichkeit der jüngeren chinesischen Geschichte begrüßt. Eine riesige Statue des Großen Vorsitzenden Mao Zedongs befindet sich richtungsweisend auf einem Podest inmitten des Bahnhofsvorplatzes und dominiert den ersten Blick auf die Stadt. Da die City nicht ganz so riesig ist, ist auch mein Hotel fußläufig zu erreichen, sodass ich meinen ersten Eindruck von diesem besonderen Ort direkt schärfen kann.

Über den Yalu – die Brücke nach Nordkorea
Ich spaziere in Richtung meines Hotels und muss ein wenig orientierungslos nach dem Weg fragen. Je weiter ich mich dem Ufer des Grenzflusses nähere, desto mehr nordkoreanische Restaurants tauchen auf. Schräg gegenüber meines Hotels (wie ich dann erfahre) spreche ich zwei traditionell-koreanisch gekleidete Kellnerinnen eines solchen Lokals an, als sie sich eine Pause an der Eingangstüre gönnen. Sie geben mir sehr freundlich Auskunft, und ich fühle mich inspiriert, das Lokal später zum Abendessen aufzusuchen. Zunächst checke ich im Hotel ein und blicke aus dem Fenster – mein erster Blick auf Nordkorea. Auf diese Diva unter den Ländern.

Wäre es jedes andere Land der Welt, gäbe es keinen Grund, so aufgeregt hinüber zu starren. Ein paar Häuser, ein paar Industrieschornsteine, eingebettet in eine vegetative Fassade aus 0815-Grünzeugs … Aber es sind eben nordkoreanische Häuser und nordkoreanische Schornsteine, eingebettet in nordkoreanisches Grün. Und genau das ist das touristische Konzept dieser Stadt. Es gibt einige tolle Ausflugsziele in der näheren Umgebung. Gebirge, die Große Mauer, … Doch die (überwiegend chinesischen) Tourist:innen kommen, um einen Blick, viele Blicke auf die andere Seite zu erhaschen. Auf das geheimnisvolle Nordkorea.
Ich entscheide mich dazu, während meines Aufenthalts noch ein zweites Hotel aufzusuchen. Etwas teurer… nun… viel teurer. Ich checke in ein direkt an der Hauptsehenswürdigkeit gelegenes Luxushotel ein. Eben wegen jener Aussicht. Wie viele andere Besucher offenbar auch. Denn zu den Serviceleistungen gehört hier die kostenfreie Nutzung eines Fernglases, welches intuitiv auf der Fensterbank abgelegt ist. Fortgeschrittener Grenzvoyeurismus. Die Hauptsehenswürdigkeit ist ein Brückenpaar, das die beiden Länder, China und Nordkorea, miteinander verbindet bzw. einmal verband.

Eine der beiden Brücken, die Gebrochene Brücke erreicht nur etwa die Mitte des Flusses und dient quasi als Freilichtmuseum zu Ehren der chinesischen Heldentaten während des Koreakriegs. Die nordkoreanische Hälfte der im Jahr 1911 errichteten Bücke wurden im Jahre 1950 gezielt durch ein US-amerikanisches Bombardement zerstört, was eine intensivierte Intervention Chinas in den Koreakrieg nicht gerade zu verhindern wusste.

Die zweite Brücke wurde von der japanischen Besatzungsmacht im Jahre 1943 fertiggestellt und ist nach wie vor intakt: Die Chinesisch-koreanische Freundschaftsbrücke bildet die Haupt-Reise- und Handelsverbindung zwischen China und Nordkorea. Auf ihr verkehren vor allem – oder ausschließlich – LKWs und Züge. Während diese Brücke nicht für Fußgänger:innen zugänglich ist, kann man die Gebrochene Brücke für 30 ¥ touristisch begehen und besichtigen. Ein Spaziergang durch eine Allee roter chinesischer Nationalflaggen. Eine Demonstration der Stärke, mit Verweis auf den dort gefeierten patriotischen Triumph im Koreakrieg. Das touristische Highlight ist die Aussichtsplattform in der Mitte des Flusses. Dichter kommt man an das koreanische Ufer ohne Weiteres nicht heran.
Der Grenzfluss trägt sowohl den chinesischen Namen Yalu (鴨綠江) als auch den koreanischen Namen Amnok (압록강). Yalu stammt vermutlich aus der Sprache der Manchu und bedeutet wohl so etwas wie Landesgrenze. Das Yalu-Flussbecken war einst – vor mehr als 2000 Jahren – die Keimzelle des Aufstiegs des großen koreanischen Königreichs Gorguryeo (고구려). Die Geschichte der antiken koreanischen Besiedlung dieser Region und weiterer Gebiete der Mandschurei reicht vermutlich noch sehr viel weiter zurück. Heutzutage sind die geopolitischen Verhältnisse andere, und gen Süden blicke ich auf ein Land, das praktisch niemand auf dem Landweg bis an dessen Südspitze durchreisen kann. Auf der koreanischen Seite des Yalus, am Rande der Stadt Sinuiju (신의주시) sind ein Riesenrad sowie eine vermutliche Wildwasserbahn zu erspähen. Das Ensemble eines Vergnügungsparks.

Wenigstens an diesem Tag sind die Karussells nicht in Betrieb. Man kann sich vorstellen, welche Vermutungen dazu vonseiten westlicher Touristen angestellt werden. Ich entziehe mich einer Beurteilung und nehme die Ausgestaltung schlicht zur Kenntnis. Ansonsten handelt es sich offenbar um eine gewöhnliche Hafenstadt, mit Hafenarbeitern, die Frachtschiffe beladen bzw. löschen.

Im sich südwärts zunehmend verbreiternden Bereich des Flusses sind Fischerboote unterwegs, um sich den Tagesfang zu sichern. Der Yalu mündet unweit südlich der beiden Grenzstädte in die Koreabucht des Gelben Meers (in Korea als Westmeer bezeichnet) und macht sie auch daher zu wichtigen Handelszentren in der Region.

Mit dem Zug über den Yalu
Auch für westliche Touristen ist es möglich – im Rahmen einer geführten Tour – mit dem Zug nach Nordkorea zu reisen. Die meisten organisierten Zugreisen führen über Dandong und Sinuiju Richtung Pjöngjang. Es gibt unterschiedliche Reiseagenturen, die derartige Abenteuer anbieten. Der Personenzug nach Pjöngjang fährt um 10:00 h von Dandong (丹東市) ab und erreicht die nordkoreanische Hauptstadt um 18:15h. Gleich nach der Abfahrt überquert er die chinesisch-koreanische Freundschaftsbrücke. Freilich ist dies kein Touristenzug. Viele Händler pendeln zwischen den Ländern. Dandong ist der wichtigste Handelsknotenpunkt, und so komplementiert der Zug die viele Lastwagen, welche die Brücke phasenweise Konvoi-mäßig überqueren.
Die Bahnüberfahrt ist für viele Eisenbahnfreunde ein Highlight, und der ein oder andere Schaulustige findet sich am Morgen im Yalu River Park ein, um das kleine Spektakel zu bezeugen.
Tourismus an der Grenzpromenade
Bevor ich mich auf den Weg nach Dandong machte, hatte ich mit einem eher unaufgeregten, tendenziell tristen Grenzort gerechnet. Doch ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. Nördlich der Freundschaftsbrücke wurden Monumente im Yalu River Park (鸭绿江公园) errichtet und viel Platz geschaffen. Ich befinde mich quasi in einem Naherholungsgebiet mit Ausblick. Ein Ort der Entspannung, der Freizeit, des Tourismus. Nicht ganz das, was ich erwartet hatte.

Rund um die beiden Brücken ist die Uferpromenade zu einer stattlichen Touri-Meile ausgestaltet. Zahlreiche kleine Verkaufsstände, die nordkoreanische Souvenirs wie Banknoten und patriotische Anstecknadeln anbieten. Speis und Trank, Luftballons, kitschiges Spielzeug. Frauen können sich traditionelle koreanische Kleider in der Signaturfarbe Pink leihen.

Sehr viele tun dies auch und posieren gut gelaunt vor dem Uferpanorama. Ein dort als Requisite für touristische Fotoshootings angebrachter Stein betitelt die Grenzsituation: Wir befinden uns in Dandong, am Yalu-Fluss, an der Grenze zwischen China und Nordkorea. Die Sonne scheint, die Menschen sind gut gelaunt. Nix Tristesse.


Eine besondere Attraktion für die Besucher:innen Dandongs sind die Bootsfahrten auf dem Yalu. Am Ufer werben Frauen mit bebilderten Schildern für eben jene Ausflüge, die einen noch exklusiveren Blick auf die andere Seite versprechen. Hier wird ausschließlich Chinesisch gesprochen. Als mir eine der Werbetreibenden eine solche Tour andrehen möchte und mich schon halbwegs Richtung Pier zerrt, schreitet ein junger Kerl mit Chinesischkenntnissen ein, der sich mir später als Harry vorstellt. Er ist Südkoreaner und möchte einen Blick auf den für ihn unerreichbaren Teil seines Heimatlandes werfen. Die von der Dame angebotene Tour sei zu teuer, versichert er mir und winkt der Dame ab. Wir kommen in einen kleinen Smalltalk.

Als ich frage, ob er eine Bootstour machen möchte, reagiert er sehr zögerlich. Er würde sich quasi auf feindliches Gewässer begeben. Nicht nur quasi. Die beiden Koreas befinden sich immer noch offiziell im Kriegszustand, und Bürger des Südens sind im Norden nicht willkommen. Ich überzeuge ihn dennoch und er genießt es sichtlich. Von der Mitte des Flusses aus ist auch eins klar sichtbar – und Harry fasst es in Worte: auf der einen Seite ein hoch-entwickeltes Land, auf der anderen Seite ein Entwicklungsland. Wohl kaum anderswo ist dieser Kontrast so scharf und deutlich.

Moon Island und die Lichter der Stadt
Im Süden der Stadt befindet sich eine Kuriosität, wie man sie nicht allerorts antrifft. Die Moon Island ist eine künstlich angelegte Insel inmitten des Yalus, quasi auf der Grenzlinie zwischen den beiden Ländern. Auf ihr wurde eine Anreihung von acht Hochhäusern gebaut, die mit über 1000 käuflichen Luxusapartments aufwarten. Diese werden als gesunde, ökologische Wohnungen beworben und bieten einen exklusiven Rundumblick. Nordostasiens einzige künstliche bewohnbare Insel. Bei einem späteren Besuch der Stadt kehre ich hier in ein noch neues (2017) Backpacker Hostel ein. Alles vom Feinsten. Eins der gepflegtesten Hostels, die ich je bewohnt habe.

Einige chinesische, wenige westliche Gäste. Ein chinesischer Gast berichtet mir von seinem Tagesausflug nach Nordkorea. Zum exklusiven Besuch seiner koreanischen Freundin. Tatsächlich können chinesische Staatsbürger:innen für Tagestrips nach Sinuiju visafrei in Nordkorea einreisen, und viele scheinen dies auch zu tun.

Die Mondinsel wirkt insgesamt eher wie ein Ressort als wie ein gewöhnliches chinesisches Wohnviertel. Die Geschäfte und Restaurants sind etwas exklusiver, alles ist bei Nacht irgendwie noch intensiver, farbenfroher beleuchtet. Es ist sauberer, die Leute sind eleganter gekleidet. Eine Insel des gehobenen Wohlstands. Auf der Grenze zwischen der Volksrepublik China und der Demokratischen Volksrepublik Korea…

Der schon erwähnte Kontrast zwischen beiden Ländern zeigt sich von hier aus besonders deutlich – bei Nacht. Von Moon Island hat man einen wunderbaren Blick stromaufwärts des Yalu in Richtung der Brücken, welche auf der chinesischen Hälfte am Abend hell und bunt beleuchtet sind. Dasselbe gilt für die gesamte Stadt Dandong. Auf der anderen Seite – in Sinuiju – sind nur vereinzelte Lichter erkennbar. Es ist im Grunde finster. Nicht nur nach chinesischen Maßstäben.

Nordkoreanische Gastronomie
Eine besondere Erfahrung beim Besuch Dandongs ist der Besuch eines der zahlreichen nordkoreanischen Restaurants. Im Jahr 2016 wurden diese noch als Devisenbringer von Pjöngjang aus betrieben und die Gäste von nordkoreanischen Kellnerinnen bedient. Ende 2017 bereits wurden nordkoreanische Betriebe im Rahmen erweiterter UN-Embargomaßnahmen durch die chinesische Regierung geschlossen.
Für viele südkoreanische und westliche Tourist:innen sind (oder waren) diese Lokale interessante Orte für eine kulinarisch-kulturelle Reise in das Land zwischen Yalu und demilitarisierter Zone. Ich habe diese Restaurants mehrfach besucht und fand mich jeweils in bizarren Situationen wieder.

Als ich alleine jenes Restaurant besuche, dessen Mitarbeiterinnen mir bei meiner Ankunft den Weg wiesen, stelle ich eine sehr freundliche Bedienungskultur fest, und mir gefällt auch mein würziges Tofugericht. Ich bin der einzige Gast im Laden. Abgesehen von einem Nebenraum, in dem sich eine Feier abzuspielen scheint. Es erklingt Musik und kollektiver Gesang.
Als ich fertig mit dem Essen bin, möchte ich einen Blick erhaschen und bewege mich in Richtung dieses Raumes. Als ich mich nähere, winkt mir eine Kellnerin ab, schließt die Tür, und ich bewege mich devot zurück zu meinem Platz. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht schlicht zu indiskret war – bei dem Versuch, eine Privatveranstaltung zu stürmen.
Eines anderen Abends beschließen mein südkoreanischer Freund Harry und ich, ein größeres Lokal direkt an der Yalu-Promenade zu besuchen. Ich finde die Konstellation ohnehin schon bizarr. Harry und die Angestellten können sich freilich fließend unterhalten. Er bestätigt mir, dass es teilweise Unterschiede in Akzent und Vokabular zwischen Nord- und Südkoreaner:innen gibt, was sich scheinbar auch hier zeigt.
Er bestellt eine kalte Buchweizennudelsuppe, Naengmyeon (냉면) (➠asiastreetfood.com), eine Spezialität aus Pjöngjang – und er ist begeistert. Ähnlich wie ich von meinem scharf geschmorten Tofu, Dubu Jorim (두부조림) (➠eat-this.org). An der Wand hängt ein Fernseher, der nordkoreanisches Programm zeigt. Als ich versuche, ein Foto davon zu machen, wird Harry darauf hingewiesen, dass das so nicht geht. Es ist eine berühmte politische Persönlichkeit in der Nachrichtensendung zu sehen. Keine Fotos, übersetzt mir Harry. Draußen wird es dunkel. Mir ist das Prozedere bekannt.

Auf chinesischer Seite werden die Brücken und Hochhäuser bunt beleuchtet. Auf koreanischer Seite bleibt es weitgehend dunkel – abgesehen von einigen Details, wie etwa der Wildwasserbahn. Als genau dies passiert, zieht die Kellnerin die Vorhänge zu. Wir hätten einen idealen Blick auf die Brücken gehabt.

Schließlich möchte Harry ein Selfie von uns beiden schießen. Mit seinem Smartphone. Wir grinsen gerade lustig in die Linse, als die Kellnerin herbeieilt und Harry das Telefon aus der Hand reißt. Er ist verärgert. Sie weigert sich, ihm das Gerät zurückzugeben, bevor sie die jüngsten Schnappschüsse kontrolliert hat. Es wird diskutiert. Ich verstehe natürlich kein Wort.
Aber klar: durch die Haltung beim Selfie-Versuch zeigte die Rückseite des Telefons in den offenen Raum, und in Richtung des TV-Geräts. Die Dame ist allerdings durchweg höflich und löst das Problem auf konstruktive Art und Weise. Sie nimmt einige Schritte rückwärts, fordert uns auf, uns in Pose zu setzen und macht ein besseres Foto, als wir es mit der Selfie-Technik zustande gebracht hätten. Mein Freund bekommt sein Handy zurück und wir genießen die letzten Schlücke unseres Taedonggang Bieres (대동강맥주).

Neben den Devisen-Lokalen gibt es auch von Chinesen geführte Restaurants mit koreanischem Angebot. Eine größere Ansammlung davon finde ich in der Koryo Street (高丽街) unweit der Brücke nach Nordkorea. Hier befinden (oder mittlerweile: befanden) sich einige Unternehmen, die Handel mit Nordkorea betreiben. Mit den entsprechenden kulinarischen Annehmlichkeiten. Wem also der Besuch eines nordkoreanischen Restaurants zu ausgefallen ist, kann sich hier immerhin authentischen kulinarischen Genüssen hingeben.
Meine Tipps für Dandong
- Der Schnellzug (G3691/ G3693) fährt 2x pro Tag ab Beijing
➙ eine Fahrt in der 2. Klasse kostet ca. 60 €
➙ die Reisezeit beträgt etwa 5 Stunden
➙ laut aktuellem Fahrplan (Dezember 2022) fährt der Zug vom neuen Bahnhof Beijing Chaoyang (北京朝阳站) - Der Nachtzug K27 Richtung Pjöngjang ist etwas günstiger
➙ ein Bett im Großabteil (Hard Sleeper) kostet ca. 37 €, ein Sitzplatz (Hard Seat) ca. 20 €
➙ die Reisezeit beträgt etwa 14 Stunden
➙ verkehrt Montag, Mittwoch, Donnerstag und Samstag ab Beijing Railway Station (北京火车站)
➙ aktuell (Dezember 2022) lässt sich dieser Zug offenbar nicht buchen
Für Fahrpläne und Buchungen empfehle ich: ➠travelchinaguide.com
- Für einen Besuch Dandongs reicht ein voller Tag, um alle Sehenswürdigkeiten in der Stadt zu besichtigen
➙ Gebrochene Brücke, Bootstour auf dem Yalu, Moon Island - Unterkünfte in Dandong:
➙ bei ausreichend Budget empfehle ich eins der Hotels (z.B Zhonglian) direkt am Ende der Freundschaftsbrücke (ca. 40-50€ pro Nacht)
➙ spannend sind auch die Unterkünfte auf der Moon Island - Im Norden des Yalus wurde die sehenswerte Neue Yalu Brücke errichtet (aber noch nicht eröffnet)
- Gastronomie in Dandong:
➙ die Stadt ist voll mit authentischen chinesischen und koreanischen Restaurants
➙ im touristischen Bereich (nahe der zwei Brücken) gibt es auch westliche Coffee-Shops - In der Umgebung
➙ ich empfehle ich unbedingt einen Tagesbesuch des ➠Tigerbergs (Hushan, 虎山长城), dem östlichsten Startpunkt der Großen Mauer
➙ hierfür unbedingt einen vollen zweiten Tag einplanen
➙ die Busfahrt dauert etwa 40 Minuten

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Disclaimer: Dies ist ein Reisemagazin, das sich mit dem Reisen an sich, der Kultur und den Begegnungen mit Menschen beschäftigt. Ich bemühe mich, meine Berichte generell möglichst wertfrei und weltoffen darzustellen. Meine Reisen sind keine Staatsbesuche und ich gebe hier keine Urteile – weder im positiven noch im negativen – zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in den besuchten Städten und Ländern ab.
Hinweis: Alle in diesem Artikel beschriebenen Reisen wurden privat finanziert. Ich erhalte keine finanziellen Zuwendungen von in diesem Artikel genannten Unternehmen oder anderen Organisationen.
Credits für Übersetzungen: Yang Cui